Auf dem Bitterfelder Weg zum Schreibworkshop

Kurse für Schreibende schmücken sich ja gerne mit Metaphern aus der Arbeitswelt. Autorenwerkstatt. Schreiblabor. Schreibfabrik. – Schreibbaustelle ist mir dabei noch nie untergekommen. Wird seine Gründe haben. Denn bevor in der Töpferbergstraße die Arbeit an den Texten losgehen kann, die Biographiewerkstätten und Schreibworkshops, bevor hier Metaphern in den Räumen hängen wie Hängetillandsien und andere Luftwurzler, wird noch eine Menge Schleifstaub zu Boden rieseln.

Am 1. April letzten Jahres habe ich bei einem dieser Spielchen mitgemacht, die gerade auf Twitter kursierten: Ein Feld voller Buchstaben, versehen mit der Anweisung: The First 3 Words You Find Are The First Three Things You Will Get After The Quarantine.

Die ersten drei Worte, die ich gefunden habe, waren Travel, Nachos, Marriage. Ich bin froh, dass ich nicht Vodka gefunden habe. Denn Vodka war auch in den Buchstabenreihen versteckt. Aber als Realistin war mir klar, dass vor dem Reisen, den Nachos, der Heirat und den Schreibworkshops noch eine Menge Baustelle liegt. Und so lauten die drei Begriffe meines persönlichen Buchstabenrätsels für Dezember – Januar: Lehmbau, Gipsputz, Maueröffnung.

Lehmputz, I: Wer die vorigen Beiträge gelesen hat und zusammen mit meinem Tischler darauf wartet, mir beim Über-Kopf-Verputzen der Decke mit Lehmputz zugucken zu dürfen: davon gibt es keine Bilder. Aber ich habe verstanden, warum Thomas Ziemer bei der Vorstellung ziemlich breit grinsen musste. Aber neben all dem vom Fußboden gespachtelten und aus den Haaren gewaschenen Lehmputz sind auch entscheidende Anteile an der Decke geblieben.

Lehmputz, II: Von meinen Freundinnen Uta und Memi, die ebenfalls in Sachsen-Anhalt einen alten Hof sanieren und schon ein paar Monate länger als ich mit Lehmputz hantieren, weiß ich, dass es hilfreich ist, dem Lehmunterputz zur Verfestigung und gegen Risse Stroh beizumengen. Und ja, ich weiß auch, dass es YouTube Tutorials gibt. Allen, die mir diese Empfehlung gegeben haben, unterstelle ich, sich noch nie wegen irgendeiner handwerklichen Fragestellung in YouTube Tutorials rumgetrieben zu haben. Denn ja, sie sind sehr aufschlussreich. Und hinterher habe ich so viele Anweisungen, Tipps und Do´s and Dont´s wie die Demokratie Meinungen. Ich habe stattdessen im Raiffeisen Baumarkt zwei Säcke Kleintierstreu gekauft (und prompt auf dem Rückweg den zweiten Tischlermeister getroffen – „Ach, haben Sie schon ihre Haustiere mitgebracht?“) und sie frei Schnauze händeweise im frisch angerührten Agaton Lehmunterputz verteilt.

Lehmputz, III. Eine nicht flächendeckend lehmverputzte Wand gleicht dem Fell einer Milka-Kuh. Das übriggebliebene Stroh eignet sich dazu, leere Steckdosenöffnungen vor dem Verputzen zu füllen.

Gipsputz, I. Ein Loch in die Wand zu stemmen, ist das eine. Ein in die Wand gestemmtes Loch mit Hilfe von Gipsputz dazu zu bringen, zu einem Oval zu werden, das andere.

Gipsputz, II. Nach dem Verputzen und Schleifen kommt der Tiefengrund. Wie gut, dass ich mir bei längeren Aufenthalten meine Zeitung nach Aken nachsenden lasse.

Natürlich komme ich an meine Grenzen. Ich bin keine mechanisch aufziehbare Baumaschine. Natürlich frage ich mich manchmal, wie ich das durchhalten soll, wo die Kraft für den nächsten Schritt herkommen soll. Und dann fällt mir wieder ein, dass es um meine Baustelle herum ja auch einen Ort gibt. Einen Ort und ein Motiv dafür, durchzuhalten. Und was für eine Menge anderer Dinge ja auch auf die Liste dessen gehören, was ich erlebe, wenn ich 10 Tage in Aken verbringe:

  • Ein Stemmeisen gekauft und ein Loch in Wand gestemmt
  • Lehm geworfen
  • Walnüsse gesammelt
  • Pilze gesucht (und bis auf ein paar Täublinge keine gefunden)
  • Kuchen gebacken nach dem Rezept von Luitgart Borlinghaus, meiner Kunst-LK-Lehrerin (1 Tasse Wein, 1 Tasse Öl, 3 Tassen Mehl, 1 Tasse Zucker, 3 Eier, 1 Pckg. Backpulver, 1 Apfel)
  • Besuch empfangen & mich kulinarisch versorgen lassen (Peanutbuttercookies, danke Keri, polnischen Eintopf mit ganzen Knoblauchzehen und vegetarischer Knackwurst, danke Kaśka)
  • Möwen mit Walnüssen beworfen
  • Gierseilfähre gefahren
  • Dame und Mühle gespielt
  • Die Bücherei besucht und mir von der Bibliothekarin Aken-Legenden erzählen lassen wie die von ihrer angeheirateten Großtante (?) Isolde Airoldi, die einst nach einer verlorenen Wette nackt auf dem Motorrad durch Aken gefahren sein soll
  • In den Baum geklettert und Misteln gepflückt
  • Die Gastherme warten lassen
  • Nur ganz schwer der Versuchung widerstanden, ein Einhorn zu kaufen.
  • Lord of War und Bridge of Spies und I bought a Zoo auf DVD geguckt

Das Schöne an Gästen, die gleichzeitig auch Autorinnen sind oder anderweitig mit dem Geschichtenerzählen zu tun haben, ist ja, dass sie nicht nur Erdnussbutter-Cookies vorbeinringen und ganze Knoblauchzehen in Eintöpfe schmeißen, sondern dass sie mir auch das Gefühl geben, dass es ein Interesse an dem gibt, was ich hier aufzuziehen versuche. Dass sie nachfragen, sich einbringen und vor allem: mich darin bestärken, an das zu glauben, was ich hier vorhabe. Daran zu glauben, dass in ein paar Monaten hier nicht mehr nur der Schleifstaub von den Wänden rieselt, sondern die Töpferbergstraße 42A ein Ort des Austausches wird, des Austausches zwischen denen, die hier leben und kochen und lieben und denen, die anderswo leben und anders kochen und lieben.

Und was Travel, Nachos & Marriage angeht, werden wir sehen.

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